Willi’s World – through your eyes

Interview-Film von Jugendlichen und gemalte Portraits Ferienworkshop mit Katharina Langer und Matthias Mühlschlegel.

Angesichts globaler Herausforderungen und zugleich wachsender gesellschaftlicher Spannungen wollen Künstlerin Katharina Langer und Regisseur Matthias Mühlschlegel mit Kindern vor Ort in ihrem Stadtteil Hamburg-Wilhelmsburg auf zwei verschiedene Arten üben, mit sich und anderen in Kontakt zu gehen: Wie sehe ich mich, wie sehe ich Dich? Wie drücke ich das aus, wie male ich mein Bild von Dir? Was sind meine und Deine Wünsche für heute, für die Zukunft? Wer sind die Erwachsenen in unserem Stadtteil, was bewegt sie? Wie trete ich in Kontakt? Die beiden unterschiedlichen Formen, mit denen wir diesen Fragen spielerisch begegnen, sind Portraitmalerei und Interviewführung.

Zum Abschluss gibt es eine Ausstellung in der KulturKapelle mit den gemalten Portraits und einer kleinen Filmvorführung der entstandenen Interviews und des Entstehungsprozesses der Portraits.

Autor*innen

art.space: Willi’s World – through your eyes: Katharina Langer und Matthias Mühlschlegel

Materialien und Tools

  • Malerei: Skizzenblöcke A4, Gouachefarben (wasserlöslich), Pinsel, Wassergläser, Pappteller als Paletten, Zeichenmaterial wie Stifte, Radiergummi, Leinwände 23×40 ca 2 Stück pro Person,evtl Staffelei, Malpappen als Unterlage, Malkittel, alte Männerhemden eignen sich sehr gut.
  • Interview: iPad pro, App “ProMovie” (einmalig 3,49 €), Reportage-Mikrofone, Mikrofon-Interface “iRigPre2”, Kopfhörer, Notizhefte, Stifte, Metaplan-Wand, Papier 

Zielgruppe

Kinder aus dem Stadtteil von 8-12 Jahren (wir hatten auch zwei Kinder aus einer Kinderschutzgruppe dabei). Es waren 6 Teilnehmer*innen.

Zeitraum

6. bis 9. März 2023 von 10 – 15h (Frühjahrsferien)

Bilder/Videos oä. 

Einführung 

Wir haben den Workshop so gegliedert, dass vormittags gemalt wurde und nach dem Mittagessen die Interviews geführt wurden. Eigentlich war das Mindestalter 9 Jahre, da wir jedoch recht wenig Anmeldungen hatten, haben wir auch Kinder ab 8 Jahren teilnehmen lassen. Die Gruppe bestand aus 6 Kindern.

Praxis 

Tag 1: Montag

Vorstellung

Warmups: Spiel zum Kennenlernen der Namen, Bewegungsspiel, Aufmerksamkeitsspiel

Übung: Malen mit verlängerten Pinseln 

Die Kinder bauen sich ihr Malwerkzeug aus gefundenen Stöcken und Pinseln und malen ein Gemeinschaftsportrait. Jedes Kind darf eine Farbe benutzen. Durch den langen Pinsel lässt sich das Malen kaum kontrollieren und es kommt zu überraschenden Ergebnissen. Einige Kinder habe schon Malerfahrung andere sind eher die Zeichner*innen. Die Malübungen sind dazu gedacht, dass aus “Fehlern”, wie unkontrolliertem Zeichnen durch den langen Stock interessante Ergebnisse entstehen und es nicht darum geht das perfekte Bild zu malen. 

Mittagessen im Bürgerhaus Wilhelmsburg

Einführung: “Was ist ein Interview”

Wir überlegen, was ein Interview eigentlich ausmacht. Die Kinder nennen Interviewarten, die ihnen einfallen und wir besprechen sie. Dann schreiben die Kinder erste Fragen auf und interviewen sich gegenseitig zur Übung. Wir machen uns kurz mit der Bedienung der Technik vertraut. Da die Gruppe nicht so groß ist, müssen wir nicht parallel arbeiten, sondern wechseln uns ab. Danach geht es zusammen nach draußen und die ersten Passanten im Park werden interviewt, darunter eine Gärtnerin, ein Fahrradfahrer und eine Fußgängerin mit Hund. Auf Wunsch der Kinder entsteht auch ein “gespieltes” Interview mit einem Schneemann, der am Morgen gebaut wurde. Abschließend sichten wir die ersten Ergebnisse und besprechen sie kurz nach.

Technisches Set

Als Mikrofon verwenden wir ein einfaches Reportagemikrofon. Dieses geht über ein XLR-Kabel in ein kleines mobiles Interface, das die Eingangs-Lautstärke regeln kann und auch einen Kopfhöreranschluss zum Mithören und Überprüfen der Aufnahme hat. Das Interface wird dann über ein TRRS-Kabel (+ Apple-Lightning-Adapter) direkt ans Ipad angeschlossen.

Auf dem Ipad verwenden wir eine spezielle Kamera-App mit Namen “Pro Movie”, die das Kabel erkennt und es so möglich macht, den Ton aus dem Mikrofon direkt zusammen mit dem Bild aufzuzeichnen. Das vereinfacht die Arbeit sehr, da so beides zusammen in einer Datei ist und wir die Ton-Dateien nicht extra den Bild-Dateien zuordnen müssen, wenn wir an den Schnitt gehen. Zudem verfügt die App über gute übersichtliche Einstellungsmöglichkeiten während des Filmens, zeigt die Signalstärke des Tons an und verleiht den Kindern in Verbindung mit dem Kopfhörer und natürlich dem Mikrofon ein Gefühl von Professionalität.

Tag 2: Dienstag

Warmups: Bewegungsspiel, Aufmerksamkeitsspiel

Malübung Einstrichmalen:

Wir malen unser Gegenüber ohne aufs Papier zu schauen.

Eine Teilnehmerin hat eine weitere Idee: Kreuz und Quer Striche auf das Papier zeichnen und darin Gesichter erkennen und ausmalen.

Bemalen der Leinwände als Vorbereitung für die Portraitmalsession am Mittwoch

Die Kinder übernehmen den ganzen Raum der Kapelle als Malort. Vorher haben sie an den Tischen gesessen.

Mittagessen im Bürgerhaus Wilhelmsburg

Interview Methoden
Wir üben zwei verschiedene Interview Methoden. Die eine arbeitet mit offenen Fragen, die die Befragten ins “laute Denken” oder auch ein kurzes Erzählen bringen. Thematisch sammeln wir Fragen, die a) nach persönlichen Wünschen und Ideen fragen und b), Fragen, die sich mit der Welt befassen. Die zweite Methode ist eine Spielform. Sie heißt “Kurz und schmerzlos”. Dabei sagt die interviewende Person ein Wort oder Namen oder einen Satz und die befragte Person antwortet kurz und spontan, was ihr dazu einfällt. Dazu schreiben die Kinder vorab Begriffe in ihr Heft, als Erinnerungshilfe während des Interviews. Wir setzen uns dafür im Raum auf zwei Stühle und jeweils eine dritte Person probiert mit der Kamera, in welcher Einstellung sie das Interview am liebsten filmen möchte.  

Tag 3: Mittwoch

Warmups

Das Herzstück des Portraits Mal-Workshops beginnt. Katharina erzählt von der Aufgabe der Portraitmalerein in der Kunstgeschichte. Die Maler*innen übernehmen jetzt die Figur der/s Hofmaler*in und die Modelle sind beispielsweise reiche König*innen oder wer/was sie gerne sein möchten. Die Kinder setzten sich zu zweit gegenüber und malen sich. Dann wird gewechselt. Es gibt Klaviermusik und die Kinder lassen sich gut auf die Aufgabe ein. Nach einer Weile wird den Modellen langweilig nur gemalt zu werden und dann dürfen sie auch anfangen zu malen. 

Wir fragen: Was ist der Unterschied zwischen einem Selfie und einem gemalten Portrait?

Ursprüngliche Idee war nur je 20 Minuten zu malen als Speeddating-Workshop und dann das Modell zu wechseln, aber die Kinder brauchen ihre eigene Zeit und vertieften sich in ihre Malerei, was sehr schön und gelungen war.

Mittagessen im Bürgerhaus Wilhelmsburg

Weltfrauentag, SDGs und längere Interviews im Park
(Nach dem Mittagessen sind wir heute im Bürgerhaus Wilhelmsburg, da die Kulturkapelle am Nachmittag anders besetzt ist.)

Es ist der 8.3. und Weltfrauentag. Wir besprechen mit den Kindern, was das ist und Katharina zeigt eine Serie von Portraits weiblicher Musikerinnen, die sie gemalt hat. Auf Wunsch der Kinder hören wir in die Musik von einigen der Musikerinnen rein und reden über ihr Leben. Die Kinder erzählen von weiblichen Heldinnen aus Geschichten und Filmen, die sie mögen. Danach sprechen wir ausgehend vom Thema Geschlechtergleichstellung über die “17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen” (engl.: SDGs) und darüber, was die Kinder damit verbinden. Anschließend teilt Matti eine Liste mit einer Zusammenstellung der Fragen aus, die wir am Vortag gesammelt haben und noch einigen Fragen zu Wilhelmsburg. Die Kinder suchen sich daraus Fragen aus und schreiben je nach Lust noch eigene neue dazu. Mit dieser Liste, Skateboard, Mikro und Kamera gehen wir dann raus und führen auf einem belebten Fahrrad- und Fußgängerweg nahe dem Bürgerhaus mehrere längere Interviews mit Passant*innen, die die Kinder spontan ansprechen. 

Über Nacht schneidet Matti aus dem während der drei Tage gefilmten Material einen kleinen Film. 

Tag 4: Donnerstag 

Warmups Bewegungsspiel, Aufmerksamkeitsspiel

Lebensgroße Silhouetten-Zeichnungen

Einige Kinder malen ihre Silhouette lebensgroß auf großes Papier.

Vorbereitung der Ausstellung

Die letzten Bilder werde noch fertig gemalt und die Kapelle aufgeräumt 

Mittagessen im Bürgerhaus Wilhelmsburg

Schnitt besprechen

Wir schauen mit den Kindern den Rohschnitt des Films und besprechen, ob es Dinge gibt, die sie rausnehmen würden oder die Ihnen fehlen. Anschließend schneidet Matti den Film fertig für die Präsentation am Nachmittag um 14h mit Eltern und Bekannten. 

Präsentation des Films und Ausstellung in der Kapelle
Wir ordnen den Raum und bauen zusammen mit den Kindern eine kleine Ausstellung auf, die die entstandenen Bilder präsentiert. Die an Tag drei begonnenen Portraits bilden den Mittelpunkt der Ausstellung.

Es erscheinen ca. 30 bis 40 Besucher*innen – Eltern und Freund*innen der Kinder. Es gibt Kekse und Getränke. Kurz nach 14h sind alle da und auf einem Beamer wird der Film präsentiert, der knapp 20 Minuten dauert.

Abschluss und Reflektion

Es zeigte sich, dass sich die beiden Formen “Portrait-Malen” und “Interview” in der Praxis sehr organisch ergänzten. Durch die Unterschiedlichkeit der konkreten Tätigkeit gab es einen guten dynamischen Ausgleich zwischen dem eher meditativen und konzentrierten Vorgang des Malens und auf der anderen Seite dem schnellen gedanklichen Austausch in einer Interviewsituation – miteinander und besonders im Interagieren mit Fremden. So entstand in der Praxis eine schöne Wechselwirkung, in der sich das “In-Kontakt-Treten”, “Wahr-Nehmen”, “Fragen-Stellen” über alltägliche Grenzen hinweg, um das es uns auf der konzeptionellen Ebene ging, ganz von selbst entfaltete –  ohne dass wir es thematisieren mussten.

In der Entwicklung der Interviews mussten wir die Fragestellungen und die Aufgaben dem Alter der Kinder (vorrangig 8-10 Jahre) anpassen. Hier machte sich bemerkbar, dass wir uns in der Planung doch eher junge Jugendliche vorgestellt hatten. Teilweise war es für die jungen Kinder noch etwas abstrakt, eine Frage an jemanden zu stellen, die nicht aus dem unmittelbaren Hier und Jetzt kommt. Dies machte sich vor allem am zweiten Tag bemerkbar. Auch die eigentlich sehr reizvolle Idee, “Willi” zu kreieren – eine fiktive lokale Figur – in deren Gestalt die Kinder dann Interviews im Stadtteil führen können, deutete sich sehr schnell als Überforderung an. Wir gaben daher am dritten Tag Fragen vor, welche die Kinder sich dann während der Interviews zu eigen machten, in eigene Worte übersetzen konnten oder mit weiteren Gedanken verknüpften. Aus dem Moment des Machens entstand mehr als aus dem Nachdenken am Tisch, vor allem auch weil der Vorgang des Aufschreibens in diesem Alter noch eine Hürde darstellt und sehr schnell eine Schulbank-Situation schafft. Für eine Wiederholung des Formats sollte dies bedacht werden. Auf der anderen Seite waren die Direktheit und die Unbedarftheit, mit der die jungen Kinder in die Interviews gingen, immer wieder erstaunlich und schafften ein Gesprächsklima, in dem die Befragten gerne offen und ehrlich antworteten. Sofern es das Ziel ist, mit Jugendlichen zu arbeiten, die schon selbständiger und planmäßiger agieren können, ist auf jeden Fall zu empfehlen, im Vorfeld gezielt Orte oder Gruppen einzubinden, wo diese sicher erreicht werden und eine gewisse Verbindlichkeit der Teilnahme gewährleistet ist.

Hinweis

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